„Omnia vincit amor“ (Amor besiegt alles) ist das Thema der drei reich gravierten Setzbecher mit abschließendem Deckel. Dem Charm des Amor / Cupido kann man nicht widerstehen. Seine Geschichte reicht in die griechische und römische Antike zurück. Da er sich außerhalb gesellschaftlicher Zwänge und Reglementierungen bewegen konnte, erfreute er sich sowohl in der Renaissance als auch in der Barockzeit größter Beliebtheit.
Amor wird in Emblem-Sammlungen des 17. Jahrhunderts häufig dargestellt, zum Beispiel in Otto van Veens Amorum emblemata, figuris aeneis incisa, gedruckt in Antwerpen 1608, welcher der Inventor von einigen der hier verwendeten Szenen gewesen sein dürfte. Als direkte Vorlage für die neun dargestellten Szenen diente hingegen die in Augsburg 1693 gedruckte Emblem-Sammlung von Heinrich Oeffelen: „Emblematische Gemüths-Vergnügung bey Betrachtung der curieusten und ergözlichsten Sinnbilder(n)…“ mit mehrsprachigen Beischriften. Übernommen wurden von dieser Sammlung nicht nur die Ikonographie, sondern auch die dazugehörigen Sinnsprüche, die zur näheren Erläuterung für den Betrachter von Bedeutung sind.
Die drei Becher, zeigen jeweils drei im Hochoval angelegte Kartuschen mit Spruchbändern. Sie sind von aufwendig gravierten Ranken umgeben und durch Früchte, Blüten und Schweifwerk eingerahmt, die der Graveur mit überragender Leichtigkeit beherrschte.
Der Erste Becher
Der erste Becher gibt einen deutlichen Hinweis auf das Motto der Serie – die Liebe. Dargestellt ist ein Herz umgeben von einer Lilie und einer Rose unter der Beischrift: „Schön lieblich und aufrichtig“ (Oeffelen, Taf. 24, Nr. 10): So soll die Liebe sein.
In einer weiteren Kartusche ist die Darstellung eines Kirschbaumes zu sehen, auf den ein Vogelschwarm zufliegt. Eine Szene, die der Goldschmied Johann Wagner noch mindestens ein weiteres Mal verwendete. Der darüberliegende Sinnspruch lautet: „Es seynd Schmarozer“. Bei Oeffelen, Taf. 3, Nr. 15, werden unter demselben Spruch verschiedene Vögel beschrieben, die zu einem, voller Früchte hängenden Kirschbaum fliegen, um ihn zu plündern. Die Vögel lieben die unwiderstehlichen Früchte so sehr, dass sie leidenschaftlich über sie herfallen.
Die letzte Kartusche zeigt gebündelte Korngarben sowie einen aufgerichteten Dreschflegel vor einem Hof mit dem Sinnspruch: „Trübsal ist nutzlich“. Bei Oeffelen Taf. 7, Nr. 13 sind am Himmel zusätzlich Vögel dargestellt, die sich für das Korn interessieren, während der Bauernhof fehlt. Der Hinweis es handele sich um Korn-Garben, die eben erst gedroschen werden sollen, macht deutlich, dass die Liebe nicht nur viel Arbeit erfordert, sondern auch heimtückischen Angriffen von außen ausgesetzt ist.
Die beiden weiteren Becher zeigen je drei Szenen mit Darstellungen von Amor / Cupido bei verschiedenen Tätigkeiten:
Der Zweite becher
Becher zwei zeigt einen geflügelten Putto, der seinen Bogen in der Hand hält und auf dem Köcher sitzend über das Wasser fährt. Darüber befindet sich der amüsante Sinnspruch: „Liebe findet Mittel und Weg.“, Oeffelen, Taf. 19, Nr. 15: Auch das scheinbar Unmögliche kann in der Liebe funktionieren.
Eine weitere Kartusche zeigt einen heranschreitenden Cupido mit umhängendem Köcher, der mit emporgehobenem Horn zur Jagd bläst und mit Hilfe von drei Hunden einen Hirsch verfolgt. Darüber steht der Spruch: „Erst geiagt darnach gefangen.“ Vor lauter Begeisterung hat Amor seinen Bogen vergessen… der fehlt bereits bei Oeffelen, Taf. 25, Nr. 15, ist aber bei Otto van Veen, dem Inventor der Darstellung auf S. 131 noch zu sehen: Dass bei der Liebe Zerstreutheit möglich und Hilfe von Außen nötig sein kann, ist hingegen allgemein bekannt.
Die dritte Kartusche zeigt einen Cupido, der einen anderen mit einem Strick fängt, darüber den Sinnspruch: „Liebs-Stricke sind annehmlich“. Ebenso wie bei Oeffelen, Taf. 49, Nr. 15 sind zwei spielerisch rangelnde Amoretten gezeigt: Der Linke lächelt verschmitzt und siegessicher, während er den Rechten mit einem Strick einzufangen versucht. Der Rechte hebt abwehrend die Hände und dreht den Kopf zur Seite, schielt aber geziert auf seinen Gegner: Die Beiden sind offenbar dabei sich zusammenraufen – zu ihren Füßen sprießen Grashalme.
Der Dritte Becher
Auch der dritte Becher zeigt Kartuschen mit Amoretten. Ein Cupido mit ausgebreiteten Flügeln, stützt sich sinnierend auf ein Richtscheid – ein im Bau verwendetes Prüf- bzw. Messinstrument. Darüber befindet sich der Sinnspruch: „Aufs genaueste“ so auch bei Oeffelen, Taf. 46, Nr. 10 was an die Vorsicht bei der Partnerwahl gemahnt und Friedrich Schiller später in „Drum prüfe, wer sich ewig bindet“ zusammenfasst.
In der nächsten Darstellung pinkelt der geflügelte Amor unter dem Spruch „Ich Lösche die Flammen“ auf seine Fackel. Wie bei dem Brüsseler Wahrzeichen, dem sogenannten „Männeken Piss“, das von Jérôme Duquesnoy entworfen wurde und seit 1619 auf einem Brüsseler Brunnen stand, steht Armor in lässiger Pose und verrichtet sein Geschäft. Er wird bei Oeffelen, Taf. 35, Nr. 8 genauer beschrieben: Cupido löscht hier seine Liebe und Leidenschaft selbst.
Ganz im Gegensatz dazu hält der dritte Cupido verschmitzt lächelnd, zwei brennende, überkreuzte Fackeln nach unten. Diese galten traditionell als Symbol für ein gutes eheliches Leben. Darüber wurden die Worte „Sie brennen beyden“ eingraviert, die bei Oeffelens, auf Taf. 46, Nr. 3 ebenfalls zu finden sind.
Das Ensemble aus drei Setzbechern mit abschließendem Deckel mit Ranken und kugeligem Knauf, ist den vielen verschiedenen Facetten der Liebe gewidmet – die meist durch Amoretten dargestellt und durch Sinnsprüche verdeutlicht werden. Möglicherweise wurde es als kostbares Geschenk an ein frisch vermähltes Brautpaar übergeben.
Der Goldschmied
Von dem Goldschmied Johann Wagner, geb. 1646, tätig zwischen 1677 und 1724 sind zahlreiche Goldschmiedearbeiten bekannt. Er schuf bevorzugt Fischhautbecher, Deckelbecher auf Kugelfüßen und teilvergoldete Becher, häufig verziert durch graviertes Blattwerk, Ranken und Fruchtbündel, fertigte aber auch eine Breischüssel an. Viele seiner Werke befinden sich in internationalen Museen wie dem Kreml und dem historischen Museum in Moskau, den Städtischen Kunstsammlungen Augsburg sowie im Nationalmuseum Budapest und in der Zornsamlingarna, Mora/Schweden.
LITERATUR
Hernmarck, Carl: Die Kunst der europäischen Gold- und Silberschmiede von 1450 bis 1830, München 1978, S. 76-85
Seling, Helmut: Die Augsburger Gold- und Silberschmiede 1529-1868, Bd. I-III, München: Beck Verlag, 1980-2007, insb. Seling 1980, Bd. 1, Abb. 363, Mz. Nr. 1750
ONLINE Links
Offelen, Heinrich: Emblematische Gemüths-Vergnügung bey Betrachtung der curieusten und ergözlichsten Sinnbildern mit ihren zuständigen Deutsch-Lateinisch-Francös. u. Italianische beyschrifften, Augsburg 1693, Taf. 3, 7, 19, 24, 25, 35, 46, 49
Veen (Vaenius), Otto van: Amorum emblemata, figuris aeneis incisa, Antwerpen 1608, S. 77, 89, 93, 131, 134
https://archive.org/details/amorumemblemataf00veen/page/n11/mode/2up