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FEINE SILBER-VERGOLDETE ST. PETERSBURG DOSE MIT MEDAILLON VON KATHARINA II. VON RUSSLAND

Objektnummer #

Russland/St. Petersburg, um 1775
Durchmesser: 9,4 cm (3,7 Zoll), Gewicht: 320 g (11,2 oz)
Medaille: Silber, geprägt
Timofey Ivanov, Medailleur der Münzstätte in St. Petersburg (tätig 1745–1796)
Provenienz: Christie’s New York, 28. April 1992, Lot 79

Bilder

Detaillierte Informationen

Die klassisch anmutende, runde Silberdose besticht durch ihre klare Formgebung. Es wurde auf aufwendigen Dekor verzichtet, um das mittig im Deckel angebrachte Medaillon Katharina der Großen in den Vordergrund zu stellen, dessen Bedeutung es hervorzuheben gilt. Statt eines diffizilen Dekors, umrahmt ein mehrfach profilierter, vergoldeter Rand das Brustbild der russischen Zarin. Ihr Bildnis ist mit der Umschrift: „VON GOTTES GNADEN JEKATERINA II. KAISERIN UND ABSOLUTE MONARCHIN VON GANZ RUSSLAND“ betitelt.

Katharina II, gehüllt in ein kettenhemdähnliches, enganliegendes Untergewand und einen wallenden Mantel mit Ordensband, ausgezeichnet mit dem Lorbeerkranz, steht in klarem Gegensatz zu dem feinen Krönchen und den teilweise hochgesteckten, im Nacken in Kaskaden herabfallenden Locken. Die Zarin lässt sich nicht verspielt im Dreiviertelporträt darstellen, wie die meisten ihrer Zeitgenossinnen. Sie zeigt sich wie die römischen Kaiser unnahbar im Profil. Sie betont Ihre Ebenbürtigkeit durch die Wahl des Porträttyps sowie ihre antikisierende Kleidung. Mit dieser demonstriert sie militärische Stärke und zeigt zusätzlich ihre feminine Seite.

Das Innere des vollständig abnehmbaren Deckels bildet den Rahmen für die Rückseite der Silber-vergoldeten Medaille. Mit viel Feingefühl und dem Ziel die Medaille in ihrer Gänze zu erhalten, fügte der Goldschmied diese in den passgenau auf der Dose aufliegenden Deckel ein: Die römische Göttin Minerva ist mit einem korinthischen Helm und Helmbusch zu sehen. Mit gepanzertem Oberteil sowie einen lose über die Schultern geschwungenen Mantel steht Minerva im Kontrapost auf dem rechten Bein, während sie das Linke leicht angewinkelt zurücksetzt. In der linken Hand hält sie eine aufrechtstehende Lanze, während sie mit der ausgestreckten Rechten einen Merkurstab hält, mit dem Sie auf ein rechts von Ihr befindliches Handelsschiff mit russischer Flagge weist.

Vorbild für die Darstellung Minervas war ein antikes römisches Vorbild, das dem Medailleur entweder als antikes Original, einer Zeichnung oder Graphik vorlag. Bekannt sind antike Bronzestatuetten der römischen Minerva (seitenverkehrt und ohne Merkurstab) aus dem 1./2. Jahrhundert nach Christus, die sich wiederum auf griechische Vorbilder der Athene aus dem 4. Jahrhundert vor Christus beziehen. Zudem haben sich mehrere Münzbildnisse des Kaisers Domitian aus dem 1. Jahrhundert erhalten: Domitian ließ seinem Münzporträt im Revers die Göttin Minerva gegenüberstellen, um seine Nähe zur römischen Gottheit zu demonstrieren.

Zarin Katharina die Große reiht sich nicht nur durch den Porträttypus und den Lorbeerkranz, sondern auch durch die Verbindung des eigenen Porträts mit Minerva – wie Domitian – in die Reihe der römischen Kaiser ein. Zudem verweist sie geschickt auf ihre weitreichende Bildung und legitimiert gleichzeitig ihren eigenen Herrschaftsanspruch.

Hinter Minerva ist ein Gewässer zu sehen, auf dem eine Flotte segelt. Das Ufer verteidigen Soldaten, die Kanonen aufs Wasser richten. Links von Minerva befinden sich Kriegstrophäen: Eine Kanone mit drei Kanonenkugeln liegt neben einem Köcher mit Pfeilen, dem Rad einer Lafette und einer Trommel. Drei Schilde mit Aufschrift KER., KI. und JENI. (der Seefestungen Kertsch, Kiburn, Jenikale) lehnen an ein Podest, auf dem sich ein aufgestellter Brustpanzer mit Helm, aufgepflanzten Flaggen sowie das Wappenschild mit dem russischen Doppeladler befindet.

Die Umschrift oben lautet „DURCH FESTEN WILLEN, VERSTAND UND KRAFT“ unter dem Schnitt sind die Worte: „DER FRIEDEN MIT DER OTTOMANISCHEN PFORTE WURDE AM 10.JULI des JAHRES 1774 GESCHLOSSEN“ zu lesen. Die Medaille erinnert an den Friedenschluss vom 10.7.1774 im türkischen Kütschük-Kainadrschi (heute Bulgarien), der das Ende der Russisch-Türkischen Krieges von 1768–1774 besiegelte. Neben großen Gebietsgewinnen bescherte der Friedenschluss Katharina der Großen wichtige Handelswege am Schwarzen Meer, sowie die freie Durchfahrt zum Bosporus.

Vergleicht man beide Seiten der Medaille, fällt die Ähnlichkeit der Kleidung von Minerva mit jener der Zarin auf dem Münzbildnis sofort ins Auge. Diese ist mit politischem Kalkül gewählt. Als aufgeklärte absolutistische Herrscherin, lässt sich Katharina wie Minerva, die Göttin der Weisheit, der Wissenschaft, der Kunst und der Kriegführung darstellen, einen Bildtypus, den man auch auf Katharinas frühen gemalten und plastischen Porträts wiederfindet.

 

Zur Verwendung der Dose

Das Innere der Dose war durch seine vollständige, gut erhaltene Vergoldung einerseits nobilitiert, andererseits funktional für die verschiedensten Zwecke nutzbar: Als Tabatieren waren vor allem Gefäße mit Scharnier geeignet. Die vorliegende Dose konnte für die verschiedensten Zwecke genutzt werden, für die Aufbewahrung von Zuckerwerk, Pillen, Schmuck, Kosmetika, Schönheitspflästerchen oder Billets. Abriebspuren an der Außenseite der Dose sprechen dafür, dass diese tatsächlich genutzt und mit sich getragen wurde.

 

Erinnerungsmedaillen

Katharina die Große ließ anlässlich wichtiger politischer Ereignisse Gedächtnismedaillen prägen, um ihre militärischen Siege oder diplomatischen Erfolge zu demonstrieren, ihre Herrschaft zu festigen und gleichzeitig passende Geschenke und Auszeichnungen für den Adel, Gouverneure, Diplomaten oder wichtige Militärangehörige zur Verfügung zu haben. Medaillen dieser Art wurden in Silber und Gold geprägt und je nach gesellschaftlichem oder militärischem Rang vergeben.

 

Noble Präsente

Bonbonnieren und Tabatieren mit Porträt des Herrschers waren an den europäischen Höfen als Gunstbeweis und zum Dank für geleistete Dienste sowie als Zeichen für die Nähe zum Monarchen beliebt. Golddosen fanden als Anstands- und Reisegeschenke bei Adeligen Verwendung. Künstler, Schauspieler, Musiker, Ärzte und Offiziere konnten Silberdosen erhalten, während Bedienstete Geldgaben erhielten. Die russische Monarchin Katharina II. war für die großzügige Verteilung von Tabatieren und Bildnis-Dosen bekannt – diese dienten durch ihren materiellen Wert nicht nur als beliebtes Geschenk, sondern auch zur Mehrung der eigenen Popularität. Katharina orientierte sich in dieser Praxis am französischen Hof. Sie bevorzugte die Verwendung klarer klassizistischer Formen.

 

Zum Medailleur

Timofey Ivanov (1729–1803) war ein bedeutender Medailleur der Münze in St. Petersburg. Er schuf zahlreiche Medaillen und Münzen. Ivanov trat 1745 in die Münze in St. Petersburg ein und war dort bis 1796 tätig.

 

LITERATUR

Jaques, Susan: The Empress of Art, Catherine the Great and the Transformation of Russia, New York/London 2016

 

Katharina die Große, Eine Ausstellung der Staatlichen Museen Kassel, der Wintershall AG, Kassel und der RAO Gazprom Moskau, hrsg. von Hans Ottomeyer und Susan Tipton, Ausst.-Kat. Kassel 1997–1998, Kassel 1997, hier S.68f. und S. 178–196 (Krieg und Frieden), insbesondere Kat. Nr. 248 und 249 (zu Medaillen anlässlich des Friedens an der Ottomanischen Pforte 1774)

 

Seelig, Lorenz: Golddosen des 18. Jahrhunderts aus dem Besitz der Fürsten von Thurn und Taxis, Die Sammlung des Bayrischen Nationalmuseums im Thurn und Taxis Museum Regensburg, hrsg. von Renate Eikelmann, Ausst.-Kat. München 2007–2008, München 2007, S. 17–58 (zu Dosensammlungen und höfischen Präsenten)

 

Tipton, Susan: Die russische Minerva, Katharina die Große und die Ikonographie der Aufklärung, in: Ausst.-Kat. Kassel 1997–1998, S. 73–80

 

Zarengold, 100 Meisterwerke der Goldschmiedekunst aus der Staatlichen Eremitage St. Petersburg, Die Gilde der ausländischen Meister, hrsg. von Fritz Falk, Ausst.-Kat. Pforzheim 1995–1996, München/Stuttgart 1995

 

ONLINE-LINKS

https://www.khm.at/de/objektdb/detail/67178/

(Kaiserzeitliche Statuette der Minerva aus dem 1.–2. Jahrhundert n. Chr., Kunsthistorisches Museum Wien)

 

https://ikmk.smb.museum/object?id=18231809

(Aureus des Domitian, im Revers: Minerva mit Speer, datiert 92-94 n.Chr., Römische Kaiserzeit