Objektnummer: #194
Straßburg um 1790
François Daniel Imlin
Beschauzeichen: „13“ mit Krone für 1784-97, Straßburg
Meisterzeichen: „IMLIN“ in einem länglichen Schild für François Daniel Imlin (s. Kat. Ausst. Deux siècles d’orfèvrerie à Strasbourg, S. 301)
Gesamtgewicht: 1756 g; Koffer: H.: 24,5 (9,65 in.); B.: 27 (10,63 in.); T.: 20,5 cm (8,07 in.)
Das vorliegende, französische Reiseservice aus dem ausgehenden 18. Jahrhundert beinhaltet eine fünf-teilige Silberausstattung. Diese besteht aus einer Deckelschale, bzw. Ecuelle, einem Breitrandteller, der als Présentoir dient, einem Messer, einer Gabel und einem Löffel. Die Teile sind in einem originalen, mit Leder bezogenen Holzkastenkoffer, innen mit angepassten Einsätzen in Rot Samt, untergebracht. Die Marken sind auf allen Teilen legiert.
Sowohl die Objekte als auch der Koffer weisen ein strenges, klassizistisches Design auf. Die Ecuelle hat eine Form ähnlich wie eine antike Vase. Sie steht auf hohem, gewölbten und profilierten Fuß. Der Korpus ist oval und glatt belassen. Auf diesen glatten Korpus des Gefäßes kommt einen Deckel, der dem Objekt seinen Charme gibt. Er ist flach und in der Mitte glockenförmig. Am Rand ist er mit einem ganz feinen, gravierten Godronenfries dekoriert. Die gewölbte Mitte des Deckels ist oben mit einem Perlenfries dekoriert und hat als Bekrönung einen gegossenen, stilisierten Pinienzapfen, der auf quadratischem Sockel steht. Seitlich haben die zwei gegossenen Henkel die Wirkung eine sehr feine Ausführung. Diese sind für eine antike Vase typisch eckig und seitlich zusätzlich dekoriert mit Mäandern geschmückt. Der Teller, bzw. Présentoir, hat einen breiten Rand und als einziges Dekor einen feinen, gravierten Godronenfries, ähnlich wie an der Ecuelle. Das Besteck ist oben mit einem breiten Stiel versehen und am Rand mit zwei gravierten Linien. Der Messergriff ist Silber vergoldet, ebenfalls mit gravierten Linien. Die eiserne Messerklinge kann abgeschraubt werden und ist mit einer Marke gepunzt.
Alle Teile sind in vorgesehenen, mit rotem Samt gefütterten Einsätzen im originalen, sechseckigen Koffer rangiert. In der Mitte schließt der Koffer mit einem Messingbeschlag und hat oben einen Griff. Bei dem Koffer handelt es sich um eine hochqualitative Ausführung von Maroquinerie. Er ist mit Leder in grüner Farbe bezogen. Auf dem Leder sind innerhalb des eckigen Rahmens jede von den sechs Seiten Blumen mit goldener Farbe eingedruckt und mit goldener Farbe versehen.
Sowohl der Koffer als auch die Objekte sind in einem ausgezeichneten Zustand erhalten. Das Vermeil aus Straßburg – also die Vergoldung – weist eine hohe Qualität auf. Es liegt wohl daran, dass solche Koffer oft zur Schau und weniger zur Benutzung hergestellt und verschenkt wurden. Solche Geschenke von Reisekoffern mit Ecuelles und Essbesteck wurden oft – der französischen und deutschen Sitte zufolge – an Wöchnerinnen, die ihr erstes Kind bekamen, vergeben.
Reiseservices sind kleine Koffer, die transportiert werden konnten und die absolut notwendigsten Objekte während des Reisens (die „nécessaires“/Notwendigen) beinhalteten. Sie wurden immer häufiger gegen Ende des 17. Jahrhunderts produziert. Ihre eigentliche Verbreitung gewann an Bedeutung insbesondere im 18. Jahrhundert.
Reiseservices haben insbesondere in Frankreich eine lange Geschichte. In schriftlichen Quellen werden sie seit dem späten 14. Jahrhundert erwähnt (so z.B. in Douët-D’Arcq (publ. pour la Société de l’histoire de France), Nouveau Récueil de Comptes de l’Argenterie des Rois de France, Paris: Librairie Renouard, 1874). Im 16. Jahrhundert besaß der Ritterkönig Franz I. (1494-1547) einen Reisekoffer von herausragender Qualität. Dennoch etablierte sich der Name „nécessaire de voyage“ eher im frühen 18. Jahrhundert.
Ursprünglich nannte man „nécessaire de voyage“ Objekte, die für Kaffee, Tee und Schokolade vorgesehen waren. Im Laufe des 18. Jahrhunderts wurden Reisekoffer beliebt und für unterschiedliche Nutzungen hergestellt: für das Schreiben, für das Essen, für die Damentoilette, usw. Der Zweck der Reiseservice ist möglichst viele Objekte in einem möglichst kleinen Raum unterzubringen. Es sind außerdem Meisterwerke, hergestellt von mehreren Spezialisten: Kunsttischler, Goldschmiede, Spiegelhersteller und Lederwarenhersteller. Der ästhetische Aspekt steht immer im Vordergrund und deswegen sind die Objekte meistens aus Silber, vergoldetem Silber, Gold und anderen preziösen Materialien.
Die Geschichte der Silberschmiede in Straßburg geht auf das 14. Jahrhundert zurück. Als Straßburg 1681 von Louis XIV. (1638-1715) in Frankreich integriert wurde, hatten die Meister ihre mittelalterliche Zunftordnung der freien Reichsstadt, bis zur französischen Revolution, behalten.
Der 30jährige Krieg brachte den Elsass in eine verarmte Lage, so dass luxuriöse Objekte nicht mehr so oft nachgefragt waren. Allerdings erlebten die straßburgischen Goldschmiede vor allem im 18. Jahrhundert ihre Blütezeit. Die neuen Administratoren, die in die Stadt ab 1681 kamen (hoher Beamte, Gouverneur der Provinz, deutsche Kurfürsten mit Eigentum in Elsass), die katholische Priesterschaft und der zurückkehrende Bischof haben zur Vermehrung der Aufträge für Luxus-Objekte beigetragen.
Die Mode im Silber in Strasbourg orientierte sich damals an dem „manières françaises“ und nicht mehr an den großen deutschen Silberschmiedestädten Nürnberg und Augsburg. Seit 1681 waren die straßburgischen Meister berechtigt, Silberwaren im Namen des Königreichs Frankreich herzustellen. Goldschmiede aus Straßburg arbeiteten also als wichtige Edelmetallarbeiter, insbesondere des Vermeils, nach den Meistern aus Paris. Die Meister waren in Dynastien organisiert. Die Imlins beispielsweise waren seit dem 17. Jahrhundert als Silberschmiedefamilie tätig.
Das Straßburger Vermeil erlangte internationale Bedeutung. Die exzellente Qualität der straßburgischen Vergoldung und seine Widerstandsfähigkeit gegen Oxidierung machen das vergoldete Silber aus Straßburg auch für die warmen und feuchten Länder des Südens, insbesondere bei den fernen französischen Kolonien, wie dem Senegal, verwendbar. Außerdem wurden in Straßburg keine Zollgebühren für exportierte Objekte erhoben und dies hatte zur Konsequenz, dass auch die deutschen Höfe, die sich mittlerweile an der französischen Mode orientierten, Silberobjekte aus Straßburg erwarben. All dies hat dazu beigetragen, dass mehrere Reisekoffer von herausragender Qualität in Strasbourg hergestellt wurden.
François Daniel Imlin (1757-1827) wurde 1780 Meister. Er war Sohn des Georges Frédéric Imlin und Vater des Emmanuels Frédéric Imlin. François Daniel Imlin hat sehr schöne klassizistische Objekte hergestellt. Siehe z.B. zwei klassizistische Leuchter von ihm im Ausstellungskatalog Deux siècles d’orfèvrerie à Strasbourg (Nr. 96 und Nr. 97). Eine Ecuelle von Fr. D. Imlin ist dort ebenfalls abgebildet (Nr. 42). Die Familie Imlin hat mehrere Reisekoffer für Adlige hergestellt. Die Objekte waren fast immer aus Vermeil und die Reisekoffer beinhalteten immer unterschiedliche Objekte. Für das Straßburger Silberservice der Landgrafen von Hessen-Darmstadt, s. Hessische Hausstiftung – Museum Schloß Fasanerie, Die Darmstädter Silberkammer: Werke alter Edelschmiedekunst, Kat. zur Sonderausstellung vom 07.07. bis 31.10.2007, S. 102-115.
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Hessische Hausstiftung – Museum Schloß Fasanerie, Die Darmstädter Silberkammer: Werke alter Edelschmiedekunst, Kat. zur Sonderausstellung vom 07.07. bis 31.10.2007, Michael Imhof Verlag, 2007.