Objektnummer : 250
Hermannstadt (Nagyszeben/Sibiu), in Siebenbürgen, Rumänien, um 1640
Meisterzeichen: PS im Oval für den Meister Petrus Schnell II. (Köszeghy 1936, Nr. 1402; Klusch 1988, Nr. 322)
Höhe: 16,5 cm (6.5 in.); Gewicht: 129,5 g (4.6 oz)
Detaillierte Informationen
Hermannstädter Kluftbecher, teilvergoldet
Silber, teilvergoldet, getrieben, graviert, punziert
Silberbecher aus Siebenbürgen zeichnen sich nach István Heller durch ihre zweigeteilte, besonders elegante und schlanke Form, den zylindrisch gebildeten, hohlen Fuß sowie eine konisch geschwungene Wandung mit breit ausgestelltem Lippenrand aus. Diese ist durch aufwendige Treibarbeit oder feine Gravierung verziert und meist teilvergoldet. Neben den typischen Merkmalen eines Kluftbechers, weisen viele der Silberbecher als Verbindung zwischen dem hohen, auf einem glatten schmalen Standring stehenden Fuß und der schlanken Cuppa, ein umlaufendes, gerilltes Wellenband auf, das von zwei Verstärkungsringen umgeben wird.
Ein Hermannstädter Kluftbecher
Der vorliegende teilvergoldete Silberbecher aus dem Goldschmiedezentrum Hermannstadt, einer ursprünglich zum österreichisch-ungarischen Empire gehörigen Stadt in Rumänien, ist ein hervorragendes Beispiel für diese Sonderform des Siebenbürgischen Kluftbechers. Aufwendig getriebene, gravierte und vergoldete Friese am Standfuß des Bechers, oberhalb und unterhalb des charakteristischen Wellenbandes sowie unterhalb des Lippenrandes, bilden einen gekonnten Kontrast zu den glatt belassenen, silbernen Zwischenflächen der Becherwandung. Der polierte, vergoldete Lippenrand, wird von einer gravierten, horizontalen Linie begrenzt, die von dem getriebenen, umlaufenden Fries bewusst überschnitten wird. Dieser besteht aus getriebenem und graviertem Roll- und Schweifwerk, stilisierten hängenden Hopfendolden und Blattwerk. Das Wellenband und der Standring sind ebenfalls von einem schmalen Fries aus Schweifwerk, stilisierten Eicheln und Blättern umgeben, die sich vom punzierten Hintergrund effektvoll abheben. Die originale Vergoldung des Bechers unterstreicht dessen klare horizontale Gliederung sowie die fein gearbeitete Treibarbeit und Gravierung der Dekoration. Eine Verbindung jener Dekorationselemente ist an Kluftbechern aus Siebenbürgen häufig zu finden.
Goldschmiedekunst aus Siebenbürgen
Der elegante Kluftbecher fügt sich nahtlos in eine größere Gruppe aus Silberbechern aus Hermannstadt und Kronstadt ein, die um die Mitte des 17. Jahrhunderts entstanden. Sie stammen aus dem bedeutenden Goldschmiedezentrum Transsylvanien, einer ungarischen Provinz, die vor dem Anfang des frühen 16. Jahrhunderts ein Drittel des Europäischen Silbers und Goldes förderte und auch später in großem Maße edle Metalle lieferte. Im Gegensatz zu zahlreichen europäischen Goldschmiedezentren war diese Region nicht auf den Import von Gold, Silber und Kupfer angewiesen, sondern verfügte in großen Mengen über diese Rohwaren, so dass ein Einschmelzen älterer Silberobjekte nicht notwendig war. Stattdessen bezogen die Goldschmiede ihre edlen Materialien von lokalen Minen. Über die ungarische Goldschmiedekunst berichtete Wolfram Koeppe 2015 auf der Website des Metropolitan Museum of Art, New York.
Vergleichsbeispiele:
Ein ähnlicher Kluftbecher, datiert 1639 von Georgius Renner mit drei Friesen aus flach getriebenem Schweifwerk, stilisierten Früchten, Palmetten und Blättern sowie ein vergleichbarer kelchförmiger Becher im Germanischen Nationalmuseum Nürnberg, Inv. Nr. KG1226 von Michael Gundert um 1640 aus Hermannstadt/Sibiu, Rumänien sind bei István Heller, S. 213 und S. 215 abgebildet.
Meister
Petrus Schnell II war Mitglied einer Goldschmiedefamilie, die über mehrere Generationen in Hermannstadt tätig war. Drei Goldschmiede der Familie nutzten ein ähnliches Meisterzeichen mit den Initialen PS. Petrus II Schnell wurde 1637 Meister und ist bis 1657 in Hermannstadt nachgewiesen.
Literatur
Heller, István: Ungarische und siebenbürgische Goldschmiedearbeiten vom Ende des 16. Jahrhunderts bis zum Ende des 19. Jahrhunderts, München 2000.
Klusch, Horst, Siebenbürgische Goldschmiedekunst, Bukarest 1988, Nr. 322 (zum Meisterzeichen)
Koeppe, Wolfram, “Hungarian Silver.” In: Heilbrunn Timeline of Art History. New York: The Metropolitan Museum of Art, 2000–. (http://www.metmuseum.org/toah/hd/hung/hd_hung.htm (February 2016), zuletzt aufgerufen am 14.12.2021)
Köszeghy, Elemér: Merkzeichen der Goldschmiede Ungarns. Vom Mittelalter bis 1867, Budapest 1936, Nr. 1402 (zum Meisterzeichen)
Roth, Victor: Kunstdenkmäler aus den sächsischen Kirchen Siebenbürgens I., Goldschmiedearbeiten, Hermannstadt 1922, Nr. 447, Abb. 95
Rosenberg Marc: Der Goldschmiede Merkzeichen, Band 4, Ausland und Byzanz, Frankfurt/Main 1928, S. 459-461 (zu Hermannstadt siehe: https// digi.ub.uni-heidelberg.de/diglit/rosenberg1928bd4/0491?nixda=1&ft / zuletzt aufgerufen am 23.12.2021)